Auf 177 Seiten beschreibt der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP, wie Deutschland neben der Verwirklichung der Klimaneutralität auch den Zusammenhalt der Gesellschaft schaffen soll. In Anbetracht des demografischen Wandels und der Digitalisierung lautet das Bekenntnis der Koalition: „Wir wollen die moderne Arbeitswelt gestalten, dabei berufliche Chancen ermöglichen sowie Sicherheit und Flexibilität in Einklang bringen.“15 Über die sich daraus ergebenden arbeitsrechtlich bedeutsamen Vorhaben haben wir in Teil 1 unseres Überblicks die Pläne der Koalition zu den Themen Ausbildung, Weiterbildung sowie Arbeitszeit und Arbeitsort gegeben. Mit Teil 3 setzen wir den Überblick fort. Schwerpunktmäßige Behandlungen einzelner Themen sollen folgen.
10. Tarifautonomie16
Das Wichtigste vorweg: § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang) bleibt unangetastet.
Insgesamt sollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung gestärkt werden, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden. Man verspricht sich damit auch ein Befördern der noch immer nötigen Lohnangleichung zwischen Ost und West.
Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht. Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht werden verhindert, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt wird.
11. Mitbestimmung17
Im Bereich der Betriebsverfassung bleibt die Ampel zurückhaltend. Sie will die betriebliche Mitbestimmung nur in einer Hinsicht weiterentwickeln: Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäbe werden Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt erprobt werden. Das ist sicherlich sinnvoll und stärkt die Digitalisierung der Betriebe insgesamt. Ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht, soll geschaffen werden. Wie das umgesetzt werden soll, bleibt bislang das Geheimnis der Ampel.
Für einige unserer Mandanten und Mandantinnen besonders interessant: Gemeinsam mit den Kirchen prüft die Koalition, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.
Außerdem von Bedeutung: Die weltweit bedeutende Stellung Deutschlands bei der Unternehmensmitbestimmung soll bewahrt werden. Die Unternehmensmitbestimmung soll weiterentwickelt werden, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Ganz konkret ist geplant, die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz zu übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt. Dies wird weitreichende Folgen für Betriebe haben, die 500 oder mehr Mitarbeiter beschäftigen, zu denen wir Sie gerne beraten.
12. Digitale Plattformen18
Ende 2020 hat das BAG entschieden: „Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch den Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Vereinbarung kann im Rahmen der nach § 611 a Abs. 1 S. 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.“19 Voraussetzung sei, dass der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben seien sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den Crowdsourcer gelenkt werde. Die Koalition greift dieses Thema nur sehr allgemein auf. Digitale Plattformen seien eine Bereicherung für die Arbeitswelt, gute und faire Arbeitsbedingungen seien wichtig, bestehendes Recht zu prüfen und die Datengrundgrundlagen zu verbessern. Auch in der Frage der Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) bleibt der Vertrag vage und ohne echten Ausblick.
13. Arbeits- und Gesundheitsschutz20
Den hohen Arbeits- und Gesundheitsschutz in der sich wandelnden Arbeitswelt will die Ampel erhalten und ihn neuen Herausforderungen ggü. anpassen. Insbesondere der psychischen Gesundheit will sich die Koalition widmen und vor allem kleine und mittlere Unternehmen bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes unterstützen. Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll gestärkt werden.
14. Fazit
Zum Ende unseres Überblicks über die arbeitsrechtlichen Vorhaben der Ampel-Koalition stellen wir fest, dass im Koalitionsvertrag aufgezeigten Programmpunkte im Bereich des Arbeitsrechts zumindest teilweise eine erhebliche Tragweite aufzeigen. Unseres Erachtens wird die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts gerade im Hinblick auf die geplante Übertragung der Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz angestrebt. Dies wird weitreichende Folgen für Konzerne haben, deren Gesellschaften insgesamt 500 oder mehr Mitarbeiter beschäftig. Zu diesem Themenkomplex hat unser Kooperationspartner, die BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH bereits kostenlose Onlineseminare angeboten. Wir gehen davon aus, dass die vorstehende Ankündigung der Ampel in der nächsten Zeit einen echten Beratungsschwerpunkt mit sich bringen wird. Wir sind vorbereitet und freuen uns auf einen interessanten Austausch mit Ihnen. Sprechen Sie uns also gerne an.
15Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 66.
16Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 71.
17Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 71f.
18Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 72.
19BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20 (LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19).
20Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 72.